Film mit 33 Millionen Klicks: Ein Youtuber begeistert mit seiner Everest-Besteigung – doch die Bilder trügen (2024)

Film mit 33 Millionen Klicks

Ein Youtuber begeistert mit seiner Everest-Besteigung – doch die Bilder trügen

Inès Benazzouz (22) schafft es in einem Jahr vom Schlaffi zum Everest-Bezwinger. Er inszeniert seinen Aufstieg mit brillanten Aufnahmen, simplen Botschaften – und entscheidenden Unschärfen.

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In Kürze:

  • Die Doku «Kaizen» hat innerhalb von zwei Wochen 33 Millionen Klicks erreicht.
  • Erfahrene Bergsteiger kritisieren den Youtuber für das Auslassen wichtiger Einordnungen.
  • Für das kommerzielle Höhenbergsteigen ist die Dokumentation bildgewaltige PR.

Ein Phänomen ist dieser Inès Benazzouz wahrlich. Satte 2:26 Stunden dauert seine Dokumentation «Kaizen. 1 Year to Climb Everest!». Und wer sich nun fragt, ob wirklich jemand diesem 22-jährigen Youtuber namens Inoxtag dabei zusehen möchte, wie er in nur einem Jahr vom gamenden Couch-Potato zum Everest-Bezwinger wird, hat wie der Autor dieses Textes keine Ahnung.

Innerhalb von nur zwei Wochen hat die Doku rund 33 Millionen Klicks generiert und davor fast 200’000 Jugendliche in die Kinos in Frankreich, Belgien und Luxemburg gelockt. Es machte den Franzosen über die Landesgrenzen hinaus zur Sensation. Man kann etwas überspitzt sagen: Dank ihm weiss ein grosser Teil der Jugend nun, dass es den Everest überhaupt gibt.

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Was sie dabei ebenfalls gelernt hat – oder zumindest zu lernen glaubt: Der höchste Berg der Welt (8849 m) kann selbst von Flachländern ohne besondere Affinität zu Bergen begangen werden, vorausgesetzt, sie verfügen über eine seriöse Vorbereitung, einen starken Willen und ausreichend Ausdauer.

Zumindest lautet so eine der zentralen Botschaften der Dokumentation: Verfolge mit aller Beharrlichkeit deine Ziele – und du wirst sie erreichen. Darum bedeutet der Titel der Dokumentation, «Kaizen», so viel wie: Kleine Schritte entfalten im Lauf der Zeit grosse Wirkung. Und ist Inès Benazzouz nicht das beste Beispiel dafür?

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Ist er nicht. Deshalb wurde Benazzouz von erfahrenen französischen Bergsteigern kritisiert, da er entscheidende Einordnungen weglässt. Zwar wird über seine Annäherung an den Berg, die 365 Tage dauert, klar: Er geht das Projekt seriös und mit Demut an. Schrittweise tastet er sich mit einem Profi-Bergführer an die Bergwelt und damit an immer höhere Gipfel heran.

Er hat also bereits lange vor dem Everest zum ersten Mal Steigeisen an seinen Schuhen – wodurch er vielen jüngeren Kunden kommerzieller Expeditionen voraus ist. Diese werden im Basislager mitunter erst mit den grundlegenden Gerätschaften vertraut gemacht. Benazzouz ist anders und in dieser Hinsicht ein Vorbild für alle jungen (und älteren) Möchtegernbesteiger des Everest.

Ein persönlicher Fitnesstrainer sorgt zudem für einen sorgfältigen Aufbau seiner Form. Und doch wird in der Dokumentation letztlich die entscheidende Einsicht nur angetippt: Der Youtube-Profi verfügte über ein massgeschneidertes Rundumpaket, zu dem am Berg neben seinem Profi-Bergführer auch zahlreiche Sherpas und damit Helfer gehörten. Kurz: Benazzouz wurde von einem so grossen Team betreut, wie es bloss Millionärskunden am Everest vorfinden.

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Die französische Zeitung «Libération» schätzte daher das Gesamtbudget seiner Expedition auf 1,2 Millionen Franken (finanziert von seinen Sponsoren). Zum Vergleich: Bei den günstigsten Everest-Anbietern kommt man schon mit circa 30’000 Franken ins Team – allerdings stehen dann weder ein persönlicher Bergführer noch ein Sherpa-Tross zur Stelle und auch nicht zusätzlicher Sauerstoff à discrétion.

Indem Benazzouz diese entscheidenden Facetten lediglich streift – sodass sie nur Habitués richtig interpretieren können –, verklärt er seine Reise. Er trägt also teilweise zum Stereotyp bei, dass im Prinzip jeder den Everest bezwingen kann, wenn er halbwegs fit ist.

Stau, Tote, Verschmutzung

Für die Everest-Industrie, die gern kräftig wachsen möchte, ist «Kaizen» daher ein Glücksfall. Auch phänomenale Drohnenaufnahmen, sogar auf Gipfelhöhe, tragen dazu bei. «Kaizen» kann somit auch als langer PR-Film interpretiert werden. Zwar thematisiert Benazzouz den Stau auf der Standardroute auf nepalesischer Seite, die Toten oder die Verschmutzung am Berg und zeigt dies auch in eindrücklichen Bildern. Die Episoden sind jedoch nur Einsprengsel und keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den vielen Schattenseiten der Everest-Industrie.

Die Dokumentation, so bildgewaltig sie inszeniert ist, sendet daher falsche Signale und verharmlost eine Welt, die vielschichtiger, dunkler und komplizierter ist, als «Kaizen» sie uns präsentiert.

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Christian Brüngger ist Redaktor, kam 2001 zum Sport-Ressort. Schreibt gerne im Grenzbereich zwischen Sport und Gesellschaft. Studierte Geschichte und Filmwissenschaften in Zürich.Mehr Infos

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